Fußball, immer noch ein „Männersport“?

29.12.2020

Wildparkstadion Karlsruhe. Nach einer verregneten Partie zwischen dem Karlsruher SC und unserem HSV steht letzterer als Sieger dar. Dank Torgarant Simon Terodde dürfen die Rothosen den menschenleeren Wildpark mit drei Punkten im Gepäck verlassen. Der KSC wird die Niederlage später als unverdient bewerten. Darüber lässt sich vielleicht streiten. Doch wirklich relevanten Diskussionsstoff liefern an diesem Abend weder Torschussstatistiken noch sonstige Quoten: Es ist Philip Heise, der nach Abpfiff für Kopfschütteln vor den TV-Geräten sorgt. Der Linksverteidiger der Baden-Württemberger hatte in der 77. Minute Gelb-Rot gesehen und wurde dafür nach dem Spiel im Interview zur Rede gestellt. Die Entscheidung des Schiedsrichters war unstrittig: Gelb vorbelastet und mit offener Sohle in den nächsten Zweikampf ergeben Gelb-Rot. Dennoch forderte Heise wenigstens ein bisschen Verständnis für seinen Platzverweis. Fußball sei „immer noch ein Männersport“. Da geht es eben hart her und das Einsteigen mit offener Sohle, das zwar böse Verletzungen beim Gegenspieler verursachen kann, gehört nun mal zu diesem aggressiven, körperbetonten „Männersport“ dazu und stellt daher noch längst keinen Grund für eine gelbe Karte dar. Dass Heise nur neun Minuten zuvor Gelb für das Weglupfen des Spielgeräts gesehen hatte, um das schnelle Ausführen eines Einwurfs zu unterbinden, thematisierte er nicht weiter. Mit einer unsportlichen Geste die eigene Mannschaft unnötig schwächen - super männlich eben.

 

Ab Minute 77 konnte der 29-Jährige dann nicht nur seiner Verantwortung als Mitspieler nicht mehr gerecht werden, sondern vergaß später kurzerhand auch seine gesellschaftliche Verantwortung gegenüber den tausenden Zuschauer:innen und vor allem den jungen Fans, die zu ihren Idolen im KSC-Dress aufschauen. Schon früh werden Kindern Ideale und Normen vermittelt, die sie im Zuge der Sozialisation aufnehmen und verinnerlichen. Dazu gehören insbesondere auch geschlechtsspezifische Zuschreibungen, die häufig immer noch wie folgt aussehen: Mädchen bevorzugen lange Haare und spielen mit Puppen. Jungs neigen zum Raufen und bekunden hauptsächlich Interesse an Autos und vor allem am Fußball. Aus heutiger Sicht kaum nachzuvollziehen, aber aus genau diesen Gründen war im DFB Frauenfußball noch bis 1970 verboten. Auch 50 Jahre später tragen Aussagen, wie die von Heise, nicht gerade dazu bei, dass sich an den immer noch vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen grundlegend etwas ändern wird. Das Klischee vom „Männersport“ wird vielmehr noch weiter untermauert.

 

Wer sich regelmäßig im Fußballkontext bewegt, kann davor nur schwer seine Augen verschließen. Selbst in Vereinen mit großer Reichweite und der daraus resultierenden gesellschaftlichen Verantwortung herrscht noch immer eine offensichtliche Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Teams vor. Ein Beispiel hierfür liefert leider auch unser HSV.

 

Die Frauenmannschaft unseres HSV ist aktuell in der Regionalliga Nord für unsere Raute auf Punktejagd. Vor einigen Jahren stand es um das Team allerdings noch deutlich besser. Bis 2012 war man in der 1. Bundesliga fest etabliert, bis der Verein eines Tages die Lizenz für die 1. Liga zurückgab. Man musste sparen und die Betätigung der Frauen rentierte sich nicht mehr. Komisch, hatte man doch sogar das Halbfinale des DFB-Pokals erreicht und war in der Bundesliga konstant in der oberen Tabellenhälfte unterwegs. Der damalige Vorstandsvorsitzender Carl-E. Jarchow wollte davon aber nichts wissen. Zehn Jahre lang hatte man die Frauenfußballabteilung mit sechsstelligen Beträgen subventioniert. Wirklich großzügig und vor allem verhältnismäßig, wenn man die Gehaltsliste der männlichen Profis danebenlegt.

 

Jedenfalls verfolge der Vorstand grundsätzlich das Ziel, nach zwei defizitären Geschäftsjahren endlich wieder mit einem ausgeglichenen Haushalt abzuschließen, erklärte Jarchow damals. Da reicht es nicht, den Verein mit Würde konstant im Oberhaus und im DFB-Pokal vertreten zu haben und da reicht auch keine Weltstadt, in der sich weit mehr Sponsorengelder generieren ließen als sonst wo in der Republik. Nein, lang genug hatte der Verein den erstklassigen Fußball subventioniert, damit musste jetzt Schluss sein. Außerdem liege die eigentliche Konzentration ja auf dem Herrenfußball, dem zum damaligen Zeitpunkt bekanntlich noch glorreiche Zeiten bevorstanden.

Die Entscheidung, den Spielbetrieb der Frauen in der Bundesliga einzustellen, traf letztlich natürlich der Vorstand und nicht die Leitung der betroffenen Frauenfußballabteilung. Man habe alle Möglichkeiten, den Frauenfußball auf Bundesliga-Niveau weiterhin zu finanzieren erörtert, leider sei jedoch keine davon tragbar gewesen. Am Ende fehlten etwa 100.000 Euro, aber vor allem der Wille, ernsthaft etwas für die Rettung der 1. Frauen zu tun. Anders gesagt: Es fehlte die Überzeugung, dass die Betätigung von Frauen und Männern in unserem Verein den gleichen Stellenwert besitzen und es fehlte offensichtlich auch der Mut, diese Haltung von vorgestern zu überdenken.

 

Die Ungleichbehandlung von Frauen-, bzw. Mädchenfußball reicht von der unverhältnismäßigen finanziellen Unterstützung bis zu abgeänderten Vereinslogos. Den Spielerinnen wird damit klar gemacht, dass sie auch heute noch im negativen Sinne eine Sonderstellung im Fußballsport haben und deshalb besonders, bzw. gar separat behandelt werden müssen. Diese Ungerechtigkeit wird den Fußball noch lange Zeit lähmen. Entscheidend ist, was Vereine und Spieler:innen dafür tun, dass die ungleiche Behandlung von Männern und Frauen im Fußball überhaupt irgendwann mal ein Ende nimmt. Wenig hilfreich ist hier, wie so oft, der DFB. Fünfzig Jahre nachdem das Verbot des Frauenfußballs gnädigerweise aufgehoben wurde, macht der DFB was er am besten kann: Er feiert sich völlig unkritisch selbst für seine Verdienste im Frauenfußball. Dass Frauen natürlich schon längst ohne Erlaubnis der alten Männer gekickt haben und auch später eher trotz als wegen des DFBs erfolgreich waren, wird dieser selbstverliebte Männerbund wohl nie begreifen.

 

Wer glaubt, dass Philip Heise seine Aussage bereut oder gar erwartet, dass er nachträglich in irgendeiner Weise dazu Stellung bezieht, wie es sonst bei verbalen Vergehen im Profifußball gängig ist, braucht sich deshalb keine Hoffnungen machen. Ganz im Gegenteil: Profis sollen auch mal Emotionen zeigen dürfen und zwar gerne durch solche markigen maskulinen Sprüche. Während man sich darüber echauffiert, dass die Krawatte von Jan Hofer vor dem WM-Finale die Farbe des Gegners der deutschen Nationalmannschaft hatte, werden Statements wie das oben genannte, die das Bewusstsein tausender junger Fußballbegeisterter beeinflussen, immer wieder klein geredet oder sogar beklatscht.

 

Da können der KSC und auch andere Profi-Vereine noch so viele Regenbogenfahnen an den Spielfeldecken aufstellen und die Spieler beim Media-Day Floskeln über Vielfalt und Toleranz stockend vor der Kamera ablesen lassen. Da kann der DFB noch zehn Themenwochen abhalten, um sich dafür zu feiern, dass er Frauen das Fußballspielen erlaubt hat. Wenn ein Verhalten wie das des Karlsruher Linksverteidigers nach Abpfiff der Partie am vergangenen Montag weiterhin als selbstverständlich gilt, bleibt die Gleichstellung von Mann und Frau im Bereich Fußball nichts als Träumerei.


 

 
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